Ich und der alte Herr Hawelka

Datum: 13. Januar 2012
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Vor knapp zwei Wochen hat mich eine traurige Nachricht an meinen ersten Besuch in Wien denken lassen. Das war im Milleniumsjahr. Ich weiß es deshalb noch so genau, weil kurz nach meiner Rückkehr aus der Stadt der Kaffeehäuser meine Großmutter starb. Von ihr kommt wohl ursprünglich meine Liebe zu den Kaffeehäusern. Schon als ich ein kleines Mädchen war, hat sie mich in diese frühen Tempel der unkomplizierten Kommunikation mitgenommen.

Die traurige Nachricht war die vom Tode des alten Herrn Hawelka. Kurz vor dem Beginn des neuen Jahres, war er am 29.12. in Wien mit 101 Jahren verstorben – und mit ihm eine lebende (Kaffeehaus-) Legende. Er hatte seinerzeit 1936 das kleine Café gegründet und mit seiner Frau Josefine ein Leben lang in unverändertem Zustand betrieben.

In jenem Zustand hatte ich es im Jahr 2000 zum ersten Mal gesehen. Ein relativ kleiner, dunkler und stickiger Raum mit abgewetzten Polstern – rauchschwadenvernebelt. Dies ist also dieser berühmte Ort, der vielleicht als die Mutter der Künstlercafés gelten kann, dachte ich damals und bezog erfreut ein Plätzchen nahe dem Klo. Es war das einzig freie. Es ist eine schöne Geste, dass man in Wien, auch wenn man ganz allein ein Kaffeehaus betritt, sehr freundlich bedient wird. An jenem Tag im März bediente mich Leopold Hawelka persönlich und ich fühlte mich dabei sehr besonders.

Ich war nach einem Seminar noch einen Tag länger geblieben und war noch ganz berauscht vom Thema „Die Vertreibung der Musik seit 1933“ in das traditionelle Musikaliengeschäft Doblinger, ebenfalls in der Dorotheergasse, hineingeraten. Hineingeraten durch das CD-Cover und Plakat einer Operette, gesungen von Zarah Leander und ehemals aufgenommen in Wien. Heraus kam ich gute zwei Stunden später mit sieben CDs, Noten und einem kleinen Buch mit Schlagern aus den Zwanziger Jahren – alles in einem roten Stoffbeutel, bedruckt mit Noten. Mit dieser fetten Beute schaffte ich es gerade zwei Häuser weiter in das berühmte kleine Café. Es erschien mir sofort als der richtige Rückzugsort, der mich für weitere Stunden in meinem Eckchen inmitten der Rauchschwaden beherbergen würde. Ich bestellte andächtig einen großen Schwarzen beim alten Herrn Hawelka und nahm das Liederbüchlein aus den Zwanzigern, nebst einem Päckchen Nil-Zigaretten aus dem Beutel. Diese österreichischen Zigaretten in der wunderschönen blauen Schachtel rauchte ich nur in Wien. Überhaupt rauchte ich fast ausschließlich im Kaffeehaus, wo anders hätte das sonst je Sinn gemacht?

Herr Hawelka stellte mir einen Aschenbecher hin – und bemerkte mit dem Blick auf meinen gefüllten Beutel: Ham’s allerhand g’funden drüben? Ich nickte und zeigte ihm das Buch-Cover des kleinen Liederbuchs. Ach Gott, da war ich jung, seufzte er und nickte mir aufmunternd zu. Mit seiner kleinen beiläufigen Äußerung und meinen Zigaretten konnte ich mich ganz wie eine echte Wienerin fühlen. Ein schönes Gefühl, das leider so viel mehr Charme hat, als das Gefühl, sich wie eine Offenbacherin zu fühlen. Aber, die Offenbacher arbeiten daran. Wenn man an einem schönen Tag auf dem Wilhelmsplatz sitzt, dann könnte man sich vorstellen, dass…Und außerdem haben wir sogar auch so eine Art Hawelka, das fängt sogar mit H an und liegt in der Geleitsstraße. Ich wünsche mir sehr, dass das kleine Café Hebeis noch lange weitergeführt wird – so wie das Hawelka in Wien, das sich in der dritten Generation befindet.

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