Am 27. Juli war vielleicht der heißeste Tag dieses Sommers, auf jeden Fall aber der heißeste Tag des Julis 2013. Gleichzeitig war es der Tag einer kleinen Premiere. Denn es war eine Lesung geplant aus meinem Stadtführer „Offenbach zu Fuß“ mit anschließender kleiner Führung auf Goethes und Lilis Spuren durch die klassischste Ecke Offenbachs mit einem Ausklang im Gemeindehaus der französisch-reformierten Kirche. Ich habe mich sehr über diese Möglichkeit gefreut, denn ich war selbst noch nie in diesem Haus in der Herrnstraße 66, was 1775 als Vermächtnis der Pfarrerswitwe Anna Maria Romagnac in den Besitz der französisch-reformierten Gemeinde gelangte. Es ist das älteste noch erhaltene Haus hugenottischer Bauweise in Offenbach.
Um so schöner, dass wir gestern die Gelegenheit hatten, es einmal von innen zu betrachten. Mit mir waren knapp 40 Teilnehmer, die tapfer mit mir die kleine Tour die Herrnstraße entlang Richtung Main, dann ein Stück am Main entlang, nach links über Speyerstraße und Linsenberg und durch den Büsingpark gewandert waren. Wobei viele leicht nostalgisch, aber den Temperaturen durchaus angemessen mit Strohhut und Fächer gewappnet dem gleißenden Licht würdig trotzten. So waren auch unsere kleinen Pausen unter Bäumen, wo ich ein paar Gedichte von Goethe an und über Lili gelesen habe, dazu angetan unsere kleine Zeitreise perfekt zu machen.
So ähnlich wie der Salon des Pfarrhauses der französisch reformierten Gemeinde mag es nebenan im Hause André, Herrnstraße 54, wo Goethe und Lili ein und ausgingen auch ausgesehen haben. Der schöne eingebaute Eckschrank stammt wohl noch aus der Zeit. Es war eine Freunde, den Raum nun so fröhlich bevölkert und die Offenbacher und interessierte Besucher sozusagen in ihrer eigenen Stadtgeschichte sitzen zu sehen. Alle tranken Kaffee, aßen den guten Blechkuchen von Bäcker Beck und schnatterten durcheinander, so ähnlich wie bei Gesellschaften früher eben auch geschnattert wurde.
Zur Erinnerung möchte ich hier noch einmal das Gedicht Lili’s Park von Goethe, das gestern besonders auch den Herren sehr gefallen hat, zitieren. Zumal ich es gestern der Hitze wegen nur in einer ziemlich gekürzten Version zum Besten geben konnte. Hier können es sich alle nochmals in voller Länge auf der Zunge zergehen lassen:
Lili’s Park
Ist doch keine Menagerie
So bunt als meiner Lili ihre!
Sie hat darin die wunderbarsten Tiere
Und kriegt sie ‚rein, weiß selbst nicht wie.
O wie sie hüpfen, laufen, trappeln,
Mit abgestumpften Flügeln zappeln,
Die armen Prinzen allzumal,
In nie gelöschter Liebesqual!
„Wie hieß die Fee? Lili?“ – Fragt nicht nach ihr!
Kennt ihr sie nicht, so danket Gott dafür.
Welch ein Geräusch, welch ein Gegacker,
Wenn sie sich in die Türe stellt
Und in der Hand das Futterkörbchen hält!
Welch ein Gequiek, welch ein Gequacker!
Alle Bäume, alle Büsche
Scheinen lebendig zu werden:
So stürzen sich ganze Herden
Zu ihren Füßen; sogar im Bassin die Fische
Patschen ungeduldig mit den Köpfen heraus.
Und sie streut dann das Futter aus
Mit einem Blick – Götter zu entzücken,
Geschweige die Bestien. Da geht’s an ein Picken,
An ein Schlürfen, an ein Hacken;
Sie stürzen einander über die Nacken,
Schieben sich, drängen sich, reißen sich,
Jagen sich, ängsten sich, beißen sich –
Und das all um ein Stückchen Brot,
Das, trocken, aus den schönen Händen schmeckt,
Als hätt‘ es in Ambrosia gesteckt.
Aber der Blick auch! der Ton,
Wenn sie ruft: „Pipi! Pipi!“,
Zöge den Adler Jupiters vom Thron;
Der Venus Taubenpaar,
Ja der eitle Pfau sogar,
Ich schwöre, sie kämen,
Wenn sie den Ton von weitem nur vernähmen.
Denn so hat sie aus des Waldes Nacht
Einen Bären, ungeleckt und ungezogen,
Unter ihren Beschluß herein betrogen,
Unter die zahme Kompanie gebracht
Und mit den andern zahm gemacht:
Bis auf einen gewissen Punkt, versteht sich!
Wie schön und ach! wie gut
Schien sie zu sein! Ich hätte mein Blut
Gegeben, um ihre Blumen zu begießen.
„Ihr sagtet: ich! Wie? Wer?“
Gut denn, ihr Herrn, gradaus: Ich bin der Bär;
In einem Filetschurz gefangen,
An einem Seidenfaden ihr zu Füßen.
Doch wie das alles zugegangen,
Erzähl‘ ich euch zur andern Zeit;
Dazu bin ich zu wütig heut.
Denn ha! steh‘ ich so an der Ecke
Und hör‘ von weitem das Geschnatter,
Seh‘ das Geflitter, das Geflatter,
Kehr‘ ich mich um
Und brumm‘,
Und renne rückwärts eine Strecke,
Und seh‘ mich um
Und brumm‘,
Und laufe wieder eine Strecke,
Und kehr doch endlich wieder um.
Dann fängt’s auf einmal an zu rasen,
Ein mächt’ger Geist schnaubt aus der Nasen,
Es wildzt die innere Natur.
Was, du ein Tor, ein Häschen nur!
So ein Pipi! Eichhörnchen, Nuß zu knacken;
Ich sträube meinen borst’gen Nacken,
Zu dienen ungewöhnt.
Ein jedes aufgestutzte Bäumchen höhnt
Mich an! Ich flieh vom Bowlinggreen,
Vom niedlich glatt gemähten Grase;
Der Buchsbaum zieht mir eine Nase,
Ich flieh ins dunkelste Gebüsche hin,
Durchs Gehege zu dringen,
Über die Planken zu springen!
Mir versagt Klettern und Sprung,
Ein Zauber bleit mich nieder,
Ein Zauber häkelt mich wider,
Ich arbeite mich ab, und bin ich matt genung,
Dann lieg‘ ich an gekünstelten Kaskaden
Und kau‘ und wein‘ und wälze halb mich tot,
Und ach! es hören meine Not
Nur porzellanene Oreaden.
Auf einmal! Ach, es dringt
Ein seliges Gefühl durch alle meine Glieder!
Sie ist’s, die dort in ihrer Laube singt!
Ich höre die liebe, liebe Stimme wieder,
Die ganze Luft ist warm, ist blütevoll.
Ach, singt sie wohl, daß ich sie hören soll?
Ich dringe zu, tret alle Sträuche nieder,
Die Büsche fliehn, die Bäume weichen mir,
Und so – zu ihren Füßen liegt das Tier.
Sie sieht es an: „Ein Ungeheuer! doch drollig!
Für einen Bären zu mild,
Für einen Pudel zu wild,
So zottig, täpsig, knollig!“
Sie streicht ihm mit dem Füßchen übern Rücken;
Er denkt im Paradiese zu sein.
Wie ihn alle sieben Sinne jücken!
Und sie – sieht ganz gelassen drein.
Ich küß‘ ihre Schuhe, kau an den Sohlen,
So sittig, als ein Bär nur mag;
Ganz sachte heb ich mich und schwinge mich
verstohlen
Leis an ihr Knie – am günst’gen Tag
Läßt sie’s geschehn und kraut mir um die Ohren
Und patscht mich mit mutwillig derbem Schlag;
Ich knurr‘, in Wonne neu geboren;
Dann fordert sie mit süßem, eitlem Spotte:
„Allons tout doux! eh la menotte!
Et faites serviteur
Comme un joli seigneur.“
So treibt sie’s fort mit Spiel und Lachen!
Es hofft der oft betrogne Tor;
Doch will er sich ein bißchen unnütz machen,
Hält sie ihn kurz als wie zuvor.
Doch hat sie auch ein Fläschchen Balsamfeuers,
Dem keiner Erde Honig gleicht,
Wovon sie wohl einmal, von Lieb‘ und Treu‘ erweicht,
Um die verlechzten Lippen ihres Ungeheuers
Ein Tröpfchen mit der Fingerspitze streicht
Und wieder flieht und mich mir überläßt,
Und ich dann, losgebunden, fest
Gebannt bin, immer nach ihr ziehe,
Sie suche, schaudre, wieder fliehe –
So läßt sie den zerstörten Armen gehn,
Ist seiner Lust, ist seinen Schmerzen still;
Ha! manchmal läßt sie mir die Tür‘ halb offen stehn,
Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will.
Und ich! – Götter, ist’s in euren Händen,
Dieses dumpfe Zauberwerk zu enden,
Wie dank ich, wenn ihr mir die Freiheit schafft!
Doch sendet ihr mir keine Hülfe nieder –
Nicht ganz umsonst reck ich so meine Glieder:
Ich fühl’s! Ich schwör’s! Noch hab ich Kraft!