Einsame Schwestern: Mein Buch des Jahres und ein Weihnachtsgeschenk, das in Erinnerung bleibt

Das Gastland Georgien hat mich in diesem Jahr literarisch voll erwischt. Ich kannte im Grunde nur die unmögliche und hochaktuelle Liebesgeschichte „Ali und Nino“ von Kurban Said (alias Lev Nussimbaum) aus dem Jahr 1937, in der sich ein Muslim in eine Christin verliebt. Ein sehr besonderes Buch, das mir immer im Gedächtnis geblieben ist und Georgien geheimnisvoll und bunt mitschwingen ließ.

In diesem Jahr bin ich auf ein anderes sehr besonderes Buch aus Georgien gestoßen: „Einsame Schwestern“ von Ekaterina Togonidze. Ich kann tatsächlich sagen, dass ich eine solch außergewöhnliche Geschichte noch nie gelesen habe. Sie macht stellenweise atemlos, dabei kommt sie in schlichtem Deutsch daher, wenn auch in unterschiedlichen Tonarten: Denn wir lernen die beiden unterschiedlichen und doch sehr verbundenen Protagonistinnen des Romans durch ihre gegensätzlichen Tagebuchaufzeichnungen kennen – und erfahren langsam, Eintrag für Eintrag, mehr von ihnen und ihrem Schicksal.

Wir erfahren aber nicht nur bedrückende Umstände ihrer Lebenssituation in der Abgeschiedenheit des Hauses der Großmutter, wo sie leben wie in einem Vakuum. Sondern wir lernen sie als zwei unterschiedliche Teenager kennen, die neugierig auf die Welt und die Liebe sind. Beide schreiben unabhängig voneinander und zeigen sich die Tagebücher nicht. Schreiben ist das einzige, neben dem Denken, was sie unabhängig voneinander tun können – und schreiben bedeutet Freiheit. Zumindestens für Diana, die sich beim Schreiben lebendiger fühlt und bedeutender. Hier kann sie „ich“ sagen, wobei sie sonst nur im „wir“ lebt, denn die beiden sind siamesische Zwillinge: „Von der Taille abwärts teilen sich Lina und ich den Körper.“

Beide Mädchen beginnen im Tagebuch ihr eintöniges Leben in bescheidenen Verhältnissen bei der Großmutter zu reflektieren. Dort werden sie seit ihrer Geburt vor der Außenwelt versteckt. Dort lernen sie von der Großmutter, aus Magazinen, die Zaza vorbeibringt und aus dem Fernsehen. Diana findet ein Notizbuch im Schrank der Großmutter und beginnt zu schreiben. Ihre Notizen sind „autobiographischer“, enger an der Wirklichkeit und weniger literarisch. Von ihr erfahren wir sozusagen die Fakten. Lina möchte es ihr nachtun und lässt sie nach Papier suchen. Sie findet auch ein benutztes Notizbuch, in dem noch Seiten frei sind. Lina wollte schon immer Gedichte schreiben und nun fängt sie damit an. Sie ist die emotionsbetonte und fantasiebegabte.

Beide erinnern sich an ihre schöne Mutter, die bei der Geburt verstarb und fragen sich, warum ihr Vater sich nicht kümmert. Als die Großmutter stirbt, sind sie plötzlich der Realität ausgeliefert und werden von einem Hochwasser buchstäblich in die Stadt geschwemmt. Sie kommen in ein Lazarett und schließlich in einen Zirkus, wo sie zur Schau werden.

Der Vater ist die dritte Perspektive aus der erzählt wird, aber er erfährt erst durch Briefe aus dem Leichenschauhaus von der Existenz seiner Töchter.

Ekaterina Togonidze hat ein mutiges Debüt gewagt und körperliche Andersartigkeit bzw. Behinderung, die nicht nur in Georgien ein Tabuthema ist, in die literarische Diskussion gebracht. Der Septime Verlag hat sich mit der Veröffentlichung dieses Romans ebenfalls mutig in ein unbeschriebenes Terrain begeben. Eine seltene Lesereise in eine andere Welt jenseits der Normalität. Verstörend und schön zugleich.

Diese Infektion fing mit den Vorbereitungen für die 3. Offenbacher Lyriknacht an. Für den Frankfurter Größenwahn Verlag übernahm ich mit zwei Kolleginnen Katharina Eismann und Tamara Labas Teile der Öffentlichkeitsarbeit, die Moderation und Organisation der Veranstaltung im Raum des Kunstvereins Offenbach.

Chinkali, die leckeren Teigtaschen, eine Art Nationalgericht, waren mir auf meiner Reise in die Ukraine im September schon begegnet. Deshalb habe ich mich besonders gefreut, als ich in Frankfurt das georgische Restaurant Old Tiflis entdeckte und auch einen Weinhandel im Internet. Dort holten wir uns die notwendige sinnliche Inspiration zum Thema und erfuhren dabei, dass in Georgien sogar das Dichten nicht ohne das Kochen geht. Das sagt schon der Erzählungsband „Wahrsagen durch Marmelade“ von Diana Anfimiadi, der im Wieser-Verlag erschienen ist.

Diana Anfimiadi war auch Gast auf unserer Lyriknacht, neben Eka Kevanishvili, Zaza Bibilashvili, Kato Javakhishvili und Tea Topuria. Neben diesen georgischen Autoren, die allesamt sehr engagiert schreiben und verschiedentlich für ihre Arbeiten ausgezeichnet wurden, waren auch noch vier deutsche Dichter und eben wir vom Größenwahn Verlag unter den Vortragenden. Zu unserer großen Erleichterung und dem Vergnügen der Zuhörerin war die Übersetzerin des Lyrikbands „Gorgiens Herz ist mit Poesie infiziert“ (Größenwahn Verlag 2018) Nana Tchigladze ebenfalls anwesend. Herausgeber ist der bekannte Dichter, Übersetzer und Orientalist Giorgi Lobzhanidze.

Den gesamten September und Oktober stimmten wir uns außerdem mit Gedichten und einem Speed Dating im Offenbacher Buchladen am Markt auf Georgien ein. Je zwei der Gedichte der georgischen Dichter des genannten Lyrikbandes rezitierten wir bei der Lyriknacht. Und das sind sehr eindrucksvolle Poeme aus einem Land, das dramatischen politischen Veränderungen ausgesetzt war und ist. Es geht darin aber nicht nur um Politik. Vielmehr geht es um den Alltag, um Facebook und um Liebe, um Dichterinnen, die ihren Haushalt bewältigen müssen, um Herz und Blut und alles, was die Menschen bewegt. Es war eine Ehre, diese Gedichte in ihrer deutschen Fassung zu lesen und es war ein Virus, denn alle bekamen wir kurz vor der Veranstaltung noch eine Erkältung. Aber nicht nur das: Ich und meine beiden Kolleginnen bekamen auch große Lust auf Georgiens zeitgenössische Literatur und auf dieses faszinierende Land. „Tiflis on my mind“ heißt eine Ausstellung im Klingspor Museum und ich kann mich dem nur anschließen.

Seit dieser Buchmesse will ich noch ganz viel lesen von georgischen Autoren und ja, ich will nach Tifls und diese Stadt sehen. Und so werden in den nächsten Wochen noch einige Buchbesprechungen von Lyrik, Erzählungen und Romanen kommen. Ich selbst bin auch schon inspiriert worden und habe ein Gedicht geschrieben, in dem die Chinkali, die leckeren Teigtaschen eine Rolle spielen. Das plane ich aber in einen Lyrikband ein, an dem ich immer mal weiter dichte, wenn mich etwas infiziert.

Letzten Montag war es endlich soweit: Ich stellte meinen Roman „Eine ungeplante Reise nach Wien“ (erschienen im Frankfurter Größenwahn Verlag) ganz geplant in Wien vor. Und zwar in einer sehr schönen kleinen Buchhandlung im 6. Wiener Bezirk. Vielleicht würden manche virtuellen Leser den Wiener Bücherschmaus  als „old fashioned“ empfinden. Die zahlreichen Besucher aber fanden es sehr gemütlich dort und um kurz nach sieben passte schließlich keine Maus mehr in den kleinen Laden. Das lag natürlich hauptsächlich an Georg Schober, dem Betreiber und seiner Frau Petra, die hier die Reihe „Literatur am Montag“ seit zwei Jahren etabliert haben – und an der feinsinnig literarischen Atmosphäre, die sie verbreiten.

Ich hatte auch ein paar Leute eingeladen und freute mich besonders, dass sie fern von meiner Heimatstadt hier erschienen waren. So saßen beispielsweise meine Großcousine Sybille, die in Wien lebt, mein früherer Arbeitskollege Marcus, meine liebste Zimmervermieterin in Wien mit ihren beiden Töchtern, Nicole und Michèle (von denen letztere ein entzückendes Geschäft mit frechen Täschchen in der Neustiftgasse führt: Violettesays), der Autor Jürgen Heimlich und Robert im Publikum, der die ganze Veranstaltung auf den Weg gebracht hatte. Sehr erfreut war ich, dass Irena David, die umtriebige Betreiberin des Photoblogs „Wien zu Fuss“ auch in die Garbergasse 13, nicht weit vom Wiener Westbahnhof, gefunden hatte – und anschließend auf Facebook das kleine Ereignis in schönen Bildern veröffentlichte. Vielen Dank für die tollen Photos, Irena!

Eigentlich lese ich aus meinem Buch nun schon fast wie im Schlaf, diesmal aber, wo es darum ging, den Wienern ihre Stadt durch meine Protagonistin Judith vor Augen zu führen, war ich doch sehr aufgeregt. Besonders bei den einleitenden Worten, mit denen ich mich kurz vorstellte, flackerte mir die Stimme – und ich dachte: Nun lese ich hier also aus meinem Buch vor, diesen Text, der zu großen Teilen auch in dieser Stadt entstanden ist. Wie oft bin ich selbst durch die Gassen gelaufen, auf der Suche nach Ecken und Plätzen, die mir irgendwie bemerkenswert erschienen, so wie beispielsweise diese sich überlagernden Straßen „Wipplingerstraße“ und „Tiefer Graben“. Oft bin ich auch in meiner heimatlichen Schreibstube auf dem Stadtpan die Straßen abgelaufen und habe dann vor Ort nachgeprüft, ob alles stimmt. Dieses auf den Füßen durch die Stadt streifen hat viel zur Entstehung des Buches beigetragen. Es war wie ein immer tieferes Erspüren meiner Protagonisten. Wie und wo sie sich bewegten, hat viel damit zu tun, was sie im Innersten bewegt.

Ich las das Kapitel „Hotel Orient“ und freute mich über die Reaktionen in den Gesichtern, manchmal auch kleinen Ausrufe, bei einem Satz, der überraschend schien. Zum Beispiel diese Äußerung von Leo: Eine renommierte Adresse für Untreue, das muss man sagen. Darauf Judith: Warst du schon mal hier? Leo wieder: Geh‘ das fragt man doch nicht.

Solche kleinen Dialoge, an denen ich wieder und wieder gefeilt hatte, sie scheinen eine Wirkung zu haben, was manchmal ganz erstaunlich für mich ist, weil sie mir ja so vertraut sind. Eine Frage, die danach immer wieder auftauchte war, ob es im „Hotel Orient“ wirklich so ausschaut, die ich nicht wirklich beantworten kann. Denn ich versuchte einmal als Einzelperson eine Nacht zu buchen, was mir nicht gelang. Allerdings war ich auch nicht allzu hartnäckig, weil dieses Ausschmücken in meiner Fantasie, so wie ich es mir darin vorstellte, auch seinen ganz eigenen Reiz hatte – und eine Inspirationsquelle war.

Es war unbeschreiblich schön, nach der Lesung noch mit meinen Wiener Zuhörern und Zuhörerinnen zu sprechen. Ein schönes Lob war es für mich, als eine Dame sagte: Wissen Sie, so eine Beschreibung eines gemeinsamen Essens, die kann so fad sein – aber in Ihrem Buch, ist das anders.

Die von einer Besucherin selbst gebackene Sachertorte und die kleinen Bethmännchen, die ich mitgebracht hatte, taten ein Übriges, um die Herzen und Zungen zu lockern. Ich möchte mich bei allen Organisatoren und Besuchern der Veranstaltung herzlich bedanken und hoffe, dass es weitere Lesungen in Wien geben wird – bis dahin schwelge ich ein wenig in den schönen Bildern, die Irena jeden Tag auf Facebook postet – und denke immer mal wieder darüber nach, worin für mich der Zauber dieser Stadt liegt. Zum Teil wohl in diesem schön verlebten Antlitz, das so viele Geschichten erlebt hat und zu erzählen weiß. Das ist ja bei vielen Städten so – aber manchmal sind die Spuren dieser Geschichten eben besonders spürbar und besonders berührend – so ist das in Wien.

Einen Tag nach der Buchmesse, bin ich krank. Die Schniefnase und das Halskratzen haben auch Vorteile: Ich muss nicht raus in dieses Sauwetter und kann die letzten aufregenden Buchmessetage revue passieren lassen – bei einem Kaffee von Meinl mit Schuss.

Eins vorweg: Noch nie sind diese Messetage so schnell vergangen wie mit dem eigenen Roman in der Hand. Ich konnte nur hin und herflitzen zwischen den Hallen 3.1 und 4.1 – und dort habe ich auch einige Gänge ausgelassen. Das Laufen an den Verlagen vorbei war allerdings diesmal besonders schön, denn ich musste nicht mit einem Manuskript beklommen nachfragen, sondern konnte etwas zeigen. Meinen Roman, denn ich beim sehr engagierten und umsorgenden Frankfurter Größenwahn Verlag veröffentlicht habe. Daraus ergaben sich viele schöne Gespräche und Erlebnisse. Am Stand des Wiener Mandelbaum Verlags blätterte ich in dem besonderen Reiseführer Jüdisches Wien, wobei der Verlagsleiter natürlich mein Buchcover sofort erkannte: Der Mandelbaum Verlag  sitzt in dem weißen Haus mit dem Runderker. Als ich in dem Führer über den Judenplatz und das Mahnmal für die Opfer der Shoah las – Fotos sah, fiel mir wieder ein, dass ich im Jahr 2000 erstmals in Wien gewesen war, damals auf einer Tag der Gesellschaft für Exilforschung, bei der es sehr viel um die Musik der 20er und 30er Jahre ging. Damals habe ich mich genauer mit dem Schicksal Schriftstellers und Liberettisten Löhner-Beda befasst, der die Texte zu vielen Lehár-Operetten und Schlagern schrieb, die wir heute noch witzig, frech und modern finden.

Das waren die ersten unscheinbaren Keime für meinen Roman. Als ich wieder zuhause war, wusste ich jedenfalls, dass ich mit diesem Thema etwas machen wollte. Als ich dann 2003 eine erste Erzählung geschrieben hatte, meldete ich mich zum Poetikseminar bei Bodo Kirchhoff an – und lernte besonders detailliertes Erzählen, sich zur Decke strecken mit dem Schreiben, eine Figur tatsächlich ausloten.

Meine erste Erzählung schrieb ich immer wieder um, wusste noch nicht recht, was daraus werden sollte. Zwischendurch schrieb ich andere Kurzgeschichten, aber auch eine Erzählung, die sich um Musik und eine Großmutter drehte. Irgendwann zwischen 2004 und 2005 sah ich einen Bericht über das Hotel Orient in Wien. Mich faszinierte, dass die Wiener für eine vergängliche Sache wie die verbotene Liebe ein Hotel so sorgfältig und geschmackvoll einrichteten. Es inspirierte mich – ich schrieb weiter, die eher komplizierte Liebesgeschichte entstand.

Die Geschichte der Großmutter hing noch etwas unverbunden zwischen anderen. Ich vertiefte mich also in die Musik, sah mir eine Ausstellung von Robert Dachs (einem Schallplattensammler) an und las Bücher über Fritz Löhner-Beda, die damals gerade erschienen. Auch hörte ich viele alte Aufnahmen, sammelte frisch digitalisiertes von Paul Abraham, gesungen von Martha Eggert oder Franziska Gaal, deren Stimmen viel zu früh verstummt waren.

In den letzten Jahren hatte ich die Buchmesse auch besucht, um interessante und mutige kleine Verlage ausfindig zu machen. Der Frankfurter Größenwahn Verlag war auch darunter. Welcher konnte schließlich besser zu diesem Buch passen als einer, der selbst aus einem Kaffeehaus, einem Ort der Diskussion und Demokratie, entstanden war?

Das waren so Gedanken in meinem Kopf als ich durch die überladenen Gänge lief. Station machte ich wieder bei dem Verlag Neue Kritik, dessen Reihe apropos über kunstschaffende Frauen mit immer wieder fasziniert, darunter Bücher über Vicky Baum, Marlene Dietrich aber auch Katherine Mansfield. Die wunderbaren Karten mit Dichterzitaten sammle ich schon seit Jahren. Ermutigt durch meinen Roman überlege ich ein biografisches Buch über Anja Lundholm zu schreiben, mit der ich viele Interviews geführt habe und auch Foto-Material besitze.

Sehr schön war die Begegnung mit den Frankfurter Bücherfrauen, von denen ich wohl einige noch aus dem Studium kenne. Diesmal ist Anita Djafari ausgezeichnet worden, bei der ich damals Seminare besuchte. Ganz bestimmt werde ich zu einer der nächsten Veranstaltungen gehen. Gleich neben ihrem Stand war der des Verlags Aviva, der speziell Bücher von vergessenen Schriftstellerinnen aus der Zeit der 20er und 30er neu auflegt. „Junge Bürokraft übernimmt auch andere Arbeit“ von Lili Grün habe ich mir mitgenommen. Beim spannenden Plattenlabel Trikont nahm ich mir frühe Rock’n Roll Aufnahmen mit. In früheren Jahren hatte ich da auch schon über Musik in Berlin und Wien interessante schön aufgemachte Alben gefunden.

Schließlich ein bisschen „Widerfahrnis“ von Bodo Kirchhoff bei der Zeit in Halle 3.1 – und ein paar Worte von ihm über die Anfänge des Schreibens: „Man schreibt ja aus einem eigenen Ungenügen heraus…“ Das ist sehr wahr finde ich. Eine Frage, die mir mein Verleger Sewastos Sampsounis beim Gespräch gestellt hat, war die nach dem persönlichen Glück. Ich antwortete, dass man immer mal wieder im Leben überprüfen müsse, ob man glücklich sei, ob man das tue, was man eigentlich tun wolle im Leben – und dann müsse man Mut haben und ausprobieren. So etwas Ähnliches hat auch eine Autorenkollegin gesagt, die ein Buch über ihre Reise nach Rußland geschrieben hat: Ellen Lugert mit „Russisch Rückwärts“. Sie zitierte ein russisches Sprichwort, das soviel bedeutet wie: Es wird schon! Das gefällt mir wesentlich besser als das etwas banalisierende Alles wird gut!, das im Deutschen so oft hergenommen wird. Das erstere drückt auch die Zeit aus, die alle guten Dinge brauchen – und die Zuversicht.

Zu guter letzt noch eine kleine Begegnung mit einem Mann aus Wien, der am Stand des Größenwahn Verlags ganz gerührt meiner Lesung folgte – und mein Buch kaufte. Kommen’s nach Wien, sagte er. Ich komme auf jeden Fall nächste Woche, antwortete ich. Meine Frau ist Konzertgeigerin sagte er wieder: Moch‘ mer was! Nun war ich gerührt. Das wird wieder „Eine ungeplante Reise nach Wien

Lange habe ich hier nichts geschrieben. Während es also hier auf dem Blog recht still war, liefen die Zahnrädchen an anderer Stelle auf Hochtouren, nämlich in unserer Literaturgruppe Autoren unterwegs (Katharina Eismann, Johann Kneißl, Leo Pinkerton, Malgo Scholz, Gisela Wölbert und meine Wenigkeit). Ab Oktober, nach der letzten Lesung der Reihe „Literatur zur Werkzeit“ im Hafengarten, gingen wir mit der Anthologie in Produktion. Ein Verleger war bereits gefunden (Offenbacher Editionen bei Berthold Druck). Nun hieß es also die 12 Lesungen, die wir über das Jahr an verschiedenen, eher unliterarischen Orten zur Mittagszeit in Offenbach veranstaltet hatten, zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Wir hatten beschlossen, die Lesungen mit den Texten, die dort zu hören waren, in chronologischer Reihenfolge im Buch zu veröffentlichen. Außerdem Fotos, die während der Lesungen entstanden waren, in Schwarzweiß.

Wir lasen nun also alle unsere Texte nochmals haargenau. Die Schlusskorrektur übernahmen Leo und Gisela, die über Lektoratserfahrung verfügen. Weiterhin trafen wir uns jeden Mittwoch Vormittag, besprachen Korrekturen, wählten Fotos aus, schrieben ein Vorwort, diskutierten über die Ausstattung des Buches  – und besprachen alles mit unserem Verleger Stefan Gey. Am 3. Dezember war es dann soweit: Pünktlich zur geplanten Lesezeit um 12 Uhr im Restaurant Trattodino erblickte unser leuchtend orangerotes Buch „Literatur zur Werkzeit“ das Licht der Welt. Und von dort aus trat es seine Reise an, in die Vorweihnachtszeit.

Gestern hatten wir die schöne Gelegenheit, es im Raum des Kunstvereins im Offenbacher KOMM einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen: 36 Zuhörer hatten sich in dem für den Kunstbazar derzeit besonders stimmungsvoll gestalteten Raum versammelt – inmitten von kunstvoll gearbeiteten Metallskulpturen, farbiger Teppichkunst und virtuosen Malereien – um unsere Lesung aus dem druckfrischen Buch mitzuerleben. Für die musikalische Begleitung unserer poetischen Miniaturen sorgte sehr einfühlsam der Gitarrist Pit Uferstein.

Für uns Autoren standen jeweils ein roter Sessel und ein Headset bereit. Den Anfang machte Malgo Scholz mit ein paar schmerzhaft bösen Zeilen über die Kunst. Ihre „gemobbte Seele“ ist in unserer Gruppe schon sprichwörtlich geworden.

Leo Pinkterton las ihre Kurzgeschichte „Mörphis Gesetz“, die sie eigens für eine unserer Lesungen geschrieben hatte. Die überraschende Wende der Geschichte besteht darin, dass sie trotz des Namens des Protagonisten doch noch gut ausgeht. Nach ihr schloss sich Gisela Wölbert an mit den beiden Gedichten „Regen News“ und „Neue Aprikosen“ an. In letzterem nimmt die Frankfurter Autorin unserer Gruppe mit wunderbar bissigem Witz unsere Konsumgesellschaft aufs Korn. Ich las danach meine Erzählung „Die Kinder von Smederevo“, zu der eine Skizze bereits während einer Chorfahrt nach Serbien 2011 entstanden war. Durch die regelmäßigen Lesungen mit der Gruppe, musste ich endlich Nägel mit Köpfen machen – und die Geschichte von vorn bis hinten erzählen. Das bedeutet ja immer, dass man sich in eine Situation wirklich hineinbegibt – mit Haut und Haaren sozusagen.

Meine Geschichte geht von Smederevo nach Offenbach und dort blieb auch Katharina Eismann mit ihren quicklebendigen „Marktstationen in fünf Akten“, worin Offenbacher einiges wieder erkennen können. Johann Kneißl machte den Abschluss mit einer herrlichen kleinen Persiflage auf unsere Weihnachtsfeiertagsrituale „Mal raus können“ und der bissig-österreichischen Wirtschaftsbeobachtung „Wiener Neustadt – Café Stadler“, wobei er einmal mehr unter Beweis stellte, dass alle Offenbacher Integrationsversuche die muttersprachliche Mundart nicht verwässern konnten. Alle Texte wurden von Pit Uferstein sehr treffend, kurzweilig und virtuos untermalt. Danach war Signierstunde und unsere orangen Büchlein kamen unters Volk. Die gute Nachricht: Es gibt noch welche. Im Buchladen am Markt, in der Steinmetzschen Buchhandlung, bei Thalia, an allen Leseorten oder bei uns (Preis 14,80 Euro, ISBN 978-3-939537-35-9). Wir danken dem Kunstverein Offenbach und Ulrike Djellouli-Della für die wundervolle Plattform. Vielen Dank für das schöne Foto an Sven Eismann.

Nun ist es soweit. Der Stadtführer „Offenbach zu Fuß“ hat seine Feuertaufe überstanden und muss nun selbst wandern, seine Wege in der Stadt finden. Es kommt einem schon ein bisschen so vor, als habe man ein Kind, das gerade ausgezogen sei. Man weiß nicht, was das Kleine jetzt so da draußen treibt, wem es gerade in die Hände fällt, wer es aufblättert. Das ist schon sehr spannend.

Spannend war auch die Buchpräsentation am Mittwoch Abend in Peters‘ Bakery. Natürlich auch wegen der kleinen Widrigkeiten, die mal wieder kurz vor Schluss passierten, wie das eben so ist. Zunächst hatten wir nämlich keine Stühle. Diese sind nämlich eine Leihgabe und standen für die Veranstaltung urplötzlich nicht zur Verfügung. Ich hatte die Idee, Bierbänke auszuleihen beim Getränkemarkt. Tja…wie aber die meisten wissen: Die Autorin von „Offenbach zu Fuß“…at gar keine Auto. Wie gut, dass eine meiner liebsten Gästinnen für den Abend einen großen BMW-Kombi hat. So kamen also die Bierbänke rechtzeitig in die Bakery.

Den Beamer durfte ich Gott sei Dank vom Hausherrn leihen und so stand einer schönen Präsentation nichts mehr im Wege. Schon kurz nach der Mittagszeit war ich in der Backstube, in der die Präsentation laufen sollte und in der ich mich sehr wohl fühle. Das kommt vielleicht daher, weil ich in meiner Kindheit viel Zeit in der Backstube meiner Großtante in Rumpenheim verbracht habe. Dort stahlen wir heimlich Butterstreusel oder Marzipan-Rohmasse.

Nun also Peters‘ Bakery als Taufkapelle für mein Buch. Es war sehr aufregend, die eigenen Fotos und Textzeilen da an der Wand in Groß zu sehen, zu wissen, dass die Leute das heute Abend alle sehen würden. Sie würden lange auf diese Bilder sehen und irgendetwas denken, während ich las. Vielleicht würden sie sich an kleine Erlebnisse erinnern, die sie mit dem jeweiligen Ort verbinden. Und diejenigen, die nicht aus Offenbach sind, würden sich vielleicht vornehmen einmal zu kommen oder durch ihre eigenen Stadtviertel mit offeneren Augen zu gehen.

Und plötzlich war es halb sieben und die Gäste kamen. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst sein sollte, am Eingang, um sie in Empfang zu nehmen oder auf meinem Leseplatz im Saal, um würdig auszusehen. Meine Freude wirkte wohl ansteckend, denn alle waren ganz aufgekratzt und gespannt. Ein tolles Publikum hatte sich dann bis neunzehn Uhr versammelt.

Nach schönen und freundlichen Worten über mich und mein Buch kamen meine eigenen Worte. Sie prasselten ins Publikum, kamen mir selbst fremd vor, aber immer noch richtig. Und das fanden offenbar auch die Zuhörenden. Es wurde immer schöner zu lesen und ab und zu einen Blick in die Mienen zu werfen, die schmunzelten oder erstaunte Augen machten – und irgendwie auch ein wenig stolz aussahen. Stolz auf ihre Stadt, die sie da so mit anderen Augen sahen.

Ich bin nun sehr gespannt, wie es meinem Kleinen weiter ergeht und ich hoffe, andere auch.

Gastbeitrag von Gisken Mittwollen, derzeit Praktikantin bei Walter Wortware

Zwei der bekanntesten Offenbacher Bürger prägen bis heute den Ruf der Stadt als Wiege der Schrift- und Druckkunst. Alois Senefelder bereitete in seiner Arbeit den Weg für Dr. Karl Klingspor. Wenn er nicht 1796 die Lithografie erfunden hätte, wäre Dr. Karl Klingspor nie auf die Idee gekommen, sich im Druckgewerbe selbständig zu machen. Dabei erfand Alois Senefelder den Flachdruck aus ganz eigennützigen Gründen. Auf die Kenntnisse Senefelders konnte Klingspor später aufbauen. Zusammen mit seinem Bruder Wilhelm brachte er die von seinem Vater erworbene Rudhardsche Gießerei auf Vordermann, und stellte den größten Schriftgenius seiner Zeit ein. Karl Klingspor erwarb mit seiner Schriftgießerei viele Preise und machte die Stadt Offenbach in aller Welt bekannt.

Alois Senefelder wurde am sechsten November 1771 als Sohn eines Schauspielers in Prag geboren. Obwohl er in seiner Schulzeit besonders gute Ergebnisse in den Fächern Physik, Chemie und Mechanik erzielte, folgte er zunächst seinem Herzensberufswunsch und wurde Schauspieler wie sein Vater. Dieser gab ihm den Rat, zuvor zur eigenen Absicherung noch einige andere Fächer zu studieren. Dem damals noch jungen Alois leuchtete die Begründung seines Vaters ein und er schrieb sich für die Fächer Rechts- und Kameral- ( Finanz) Wissenschaften ein. In seiner freien Zeit, schrieb und feilte er an Drehbüchern für Theaterstücke. Als dann sein Vater verstarb, beschloss er im Schock nun doch seinen langgehegten Wunsch zu verwirklichen. Dies war die letzte Ehre, die er seinem Vater erweisen wollte. Als er zwei Jahre lang mit seiner Schauspielgruppe umhergezogen war, sein Glück und Geld aber dennoch nicht gefunden hatte, gab er diese Kunst auf und versuchte sich als Theaterschriftsteller. In diesem Beruf hatte er bereits Erfahrung. Dennoch war es schwer, Verleger zu finden und das Drucken der Drehbücher war sehr teuer. Aus diesem Grunde beschloss er seine Werke selber zu veröffentlichen und zu vervielfältigen.

Doch bald befand er sich in einer materiellen Notsituation und suchte einen Weg, sein Material auf eine günstige Art und Weise zu drucken. Er experimentierte mit vielen verschiedenen Möglichkeiten. Nach einer Serie verzweifelter Versuche, nutze er Talg, schwarze Tinte aus Wachs, Kienruß und Regenwasser auf einer Solnhofener Kalkschieferplatte, welche man in München zum Belegen der Hausflure nutzte. Rein zufällig machte er die Entdeckung, dass man die Fläche der Steinplatte, die nicht mit einer Schutzschicht aus Wachstinte bedeckt war, mit Salpetersäure wegätzen kann. Die hochgeätzte Schrift ließ sich mit einem Buchdruckerballen schwarz färben und auf Papier abdrucken.
Senefelder nannte die von ihm erfundene Druckart Lithographie (griechisch: „Lith“ = Stein). Er beschrieb sie als geeignete Drucktechnik zur Herstellung von Schriften, Musiknoten, Landkarten, Tabellen, Zirkularien (Rundschreiben) sowie der Wiedergabe von schwarzweißen und farbigen Bildern, Holzschnitten, Handzeichnungen und Kupferstichen.

Das lang erhoffte Privileg traf 1799 von Kurfürst Maximilian Joseph für die Dauer von 15 Jahren ein. Es besagte, dass es bei einer Strafe von 100 Dukaten und der Beschlagnahmung aller Vorräte und Werkzeuge verboten sei Senefelder in irgendeiner Weise Konkurrenz zu machen. Dies bezog sich auf „alles, was man auf Stein drucken kann, sowohl schwarz, als auch in Farben“.

1806 eröffnete Senefelder in München seine eigene Druckerei. Dort wurde er von Anton André besucht, welcher von einer Reise aus Wien nach Offenbach zurückehrte und einen Zwischenstop in München machte. Dieser hatte von Senefelders kostengünstiger Druckmethode gehört und verpflichtete ihn sogleich, ihn nach Offenbach zu begleiten, um seine eigene Druckerei zu verbessern. Als Direktor der bayerischen Landkartendruckerei gelang ihm 1826 der Druck farbiger Blätter. Seit dem Jahre 1971 gibt es die „Internationale Senefelder-Stiftung“ mit Sitz in Offenbach a. Main.

Auf die Kenntnisse, die Senefelder durch seine Experimente mit dem Steindruck erworben hatte, bauten die späteren Erfindungen in der Drucktechnik auf.

Dr. Karl Klingspor (1868 – 1950) bekam mit 24 Jahren, im Jahre 1892, die vom Vater erworbene, im Jahre 1842 gegründete Rudhardsche Gießerei übergeben. Zwei Jahre später nahm er seinen Bruder Wilhelm Klingspor als ersten Mitarbeiter auf. Die ehemalige Rudhardsche Gießerei wurde erst durch Dr. Karl Klingspor eine Firma, die international große Bedeutung erlangte. Im Jahre 1906 begann man Druckmaschinen, welche bei Gebr. Klingspor mit insgesamt 53 Gießmaschinen hergestellt wurden, in alle Erdteile zu verkaufen. Unter den 53 Gießmaschinen waren 6 Klingspor- Schnellgießmaschinen, 4 Doppelgießmaschinen, und 37 Komplettgießmaschinen. Das Ziel der Gebrüder Klingspor war es seit 1900, dem Schriftgießereigewerbe zu neuem Aufschwung zu verhelfen. Dies wurde auch von den damaligen namhaften Künstlern unterstützt. Sie entwarfen neue Schriften für die Gebrüder Klingspor und verhalfen der Schriftgießerei zu Weltruhm. Nach einiger Zeit richteten Karl und Wilhelm sich eine Hausdruckerei ein, die als Vorbild diente. Sie trug dazu bei, dass Dr. Karl Klingspor am Tag der Vollendung seines 80 Lebensjahres, dem 03.06.1949, das Ehrenbürgerrecht verliehen wurde. Die Übergabe des Ehrenbürgerbriefes erfolgte am 25. Juni 1948. Dies war nur eine Auszeichnung von vielen, die Karl Klingspor im Laufe seines Lebens erhielt. Als er am ersten Tage des Jahres 1950 in Kronberg starb, hatte er den Rang des Ehrensenators der Universität Gießen erreicht.

Die Verdienste Karl Klingspors sind vielleicht am prägnantesten bei der Verleihung zum Ehrendoktor der Technischen Hochschule in Darmstadt formuliert worden. Dort wurde gesagt: „In Würdigung Ihrer hervorragenden Verdienste um die künstlerische Buchausstattung insbesondere um die Entwicklung der modernen Typografie, die Sie in unermüdlicher und zielbewusster Arbeit mit gereiftem künstlerischen Verständnis durch Herstellung von neuer von berühmten Künstlern entworfenen Druckschriften ungemein bereichert und in neue Bahnen gelenkt haben, haben Ihnen Rektor und Senat der hiesigen Technischen Hochschule die Würde eines Doktor-Ingenieurs ehrenhalber verliehen.“

Die Arbeit an der Klingspor´schen Schriftgießerei teilten die Brüder ab dem Jahr 1859 so auf, dass Wilhelm sich dem kaufmännischen und Karl sich dem technischen und künstlerischen Bereich des Unternehmens widmete. Die Schriftgießerei stellte noch einen weiteren Mitarbeiter ein, der sich ebenfalls einen Namen machte. Rudolf Koch, der einige Jahre später auch den Schriftunterricht an der Offenbacher Kunstgewerbeschule übernahm. Er galt später als größter Schriftkünstler seiner Zeit. Daraus entstand eine so glückliche Verbindung zwischen Industrie, handwerklicher Arbeit, Werkstatt und Schule wie sie es sie noch nie zuvor gegeben hatte.

Karl Klingspor stand der Schule lange Zeit mit Rat zur Seite und schenkte ihr Maschinen für die Druckerei und die fotografische Abteilung. Auch dadurch gewann die Schrift- und Druckkunst internationale Bedeutung. In Frankreich, Schweden, England, und vielen anderen Ländern sagte man, dass Karl Klingspor nicht nur künstlerische Ideen habe, sondern auch die Fähigkeiten besäße, diese Ideen geschäftlich zu nutzen. Dies könne er, obwohl er keine Ausbildung gehabt hätte. Zudem habe er ein gutes Auge bei der Auswahl von Mitarbeitern. Diese Reaktion im Ausland sorgte auch bei den Klingspor Brüdern für Erstaunen.

An seinem Grab, am Waldfriedhof von Oberrad standen bei seiner Beerdigung viele Menschen und betrauerten den Verlust dieser einzigartigen Persönlichkeit. Auch heutzutage verdankt die Stadt Offenbach seinem Ruf viel. In diesem Jahr hat die Schreibwerkstatt Klingspor den Kulturpreis der Stadt Offenbach überreicht bekommen.

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