Einsame Schwestern: Mein Buch des Jahres und ein Weihnachtsgeschenk, das in Erinnerung bleibt

Datum: 17. Dezember 2018
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Das Gastland Georgien hat mich in diesem Jahr literarisch voll erwischt. Ich kannte im Grunde nur die unmögliche und hochaktuelle Liebesgeschichte „Ali und Nino“ von Kurban Said (alias Lev Nussimbaum) aus dem Jahr 1937, in der sich ein Muslim in eine Christin verliebt. Ein sehr besonderes Buch, das mir immer im Gedächtnis geblieben ist und Georgien geheimnisvoll und bunt mitschwingen ließ.

In diesem Jahr bin ich auf ein anderes sehr besonderes Buch aus Georgien gestoßen: „Einsame Schwestern“ von Ekaterina Togonidze. Ich kann tatsächlich sagen, dass ich eine solch außergewöhnliche Geschichte noch nie gelesen habe. Sie macht stellenweise atemlos, dabei kommt sie in schlichtem Deutsch daher, wenn auch in unterschiedlichen Tonarten: Denn wir lernen die beiden unterschiedlichen und doch sehr verbundenen Protagonistinnen des Romans durch ihre gegensätzlichen Tagebuchaufzeichnungen kennen – und erfahren langsam, Eintrag für Eintrag, mehr von ihnen und ihrem Schicksal.

Wir erfahren aber nicht nur bedrückende Umstände ihrer Lebenssituation in der Abgeschiedenheit des Hauses der Großmutter, wo sie leben wie in einem Vakuum. Sondern wir lernen sie als zwei unterschiedliche Teenager kennen, die neugierig auf die Welt und die Liebe sind. Beide schreiben unabhängig voneinander und zeigen sich die Tagebücher nicht. Schreiben ist das einzige, neben dem Denken, was sie unabhängig voneinander tun können – und schreiben bedeutet Freiheit. Zumindestens für Diana, die sich beim Schreiben lebendiger fühlt und bedeutender. Hier kann sie „ich“ sagen, wobei sie sonst nur im „wir“ lebt, denn die beiden sind siamesische Zwillinge: „Von der Taille abwärts teilen sich Lina und ich den Körper.“

Beide Mädchen beginnen im Tagebuch ihr eintöniges Leben in bescheidenen Verhältnissen bei der Großmutter zu reflektieren. Dort werden sie seit ihrer Geburt vor der Außenwelt versteckt. Dort lernen sie von der Großmutter, aus Magazinen, die Zaza vorbeibringt und aus dem Fernsehen. Diana findet ein Notizbuch im Schrank der Großmutter und beginnt zu schreiben. Ihre Notizen sind „autobiographischer“, enger an der Wirklichkeit und weniger literarisch. Von ihr erfahren wir sozusagen die Fakten. Lina möchte es ihr nachtun und lässt sie nach Papier suchen. Sie findet auch ein benutztes Notizbuch, in dem noch Seiten frei sind. Lina wollte schon immer Gedichte schreiben und nun fängt sie damit an. Sie ist die emotionsbetonte und fantasiebegabte.

Beide erinnern sich an ihre schöne Mutter, die bei der Geburt verstarb und fragen sich, warum ihr Vater sich nicht kümmert. Als die Großmutter stirbt, sind sie plötzlich der Realität ausgeliefert und werden von einem Hochwasser buchstäblich in die Stadt geschwemmt. Sie kommen in ein Lazarett und schließlich in einen Zirkus, wo sie zur Schau werden.

Der Vater ist die dritte Perspektive aus der erzählt wird, aber er erfährt erst durch Briefe aus dem Leichenschauhaus von der Existenz seiner Töchter.

Ekaterina Togonidze hat ein mutiges Debüt gewagt und körperliche Andersartigkeit bzw. Behinderung, die nicht nur in Georgien ein Tabuthema ist, in die literarische Diskussion gebracht. Der Septime Verlag hat sich mit der Veröffentlichung dieses Romans ebenfalls mutig in ein unbeschriebenes Terrain begeben. Eine seltene Lesereise in eine andere Welt jenseits der Normalität. Verstörend und schön zugleich.

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